Intention

Im Idealfall sollte jedes Kunstwerk gegenüber seinem Publikum für sich sprechen – wie zum Beispiel ein Gemälde, so auch jede Komposition.

Im Gegensatz zum Gemälde muß eine Komposition allerdings erst von einem Interpreten zu Klang gebracht werden. Mindestens ein weiterer Künstler bis zu einem ganzen Orchester haben also Einfluß auf die Wirkung der Komposition auf ihr Publikum- eine verantwortungsvolle Aufgabe!.. Deswegen ist ja auch - im Gegensatz zur Improvisation - jede Note bereits bis ins ‘I-Tüpfelchen’ (d.h. bis in die 16tel-Noten hinein) festgelegt; und damit dem Interpreten die Gestaltung anscheinend bis ins Detail vorgegeben und erleichtert. Und schon Beethoven kämpfte in diesem Sinne einerseits erfolgreich mit den Druckereien seiner Kompositionen darum, zur zusätzlichen Eindeutigkeit noch mehr Spielanweisungen wie zum Beispiel piano, crescendo, ritardando etc. in die Noten geschrieben zu bekommen.

Andererseits musste jedoch gerade er zum Beispiel bei der trotz alledem desaströsen Uraufführung seiner ‘Eroica’-Symphonie miterleben, wie jemand frustriert von der Galerie herunter brüllte, wann das Ganze denn endlich zu Ende sei... Wie ist so etwas möglich? Offenbar hat der aufführende Künstler also noch weitreichend weitere klangliche Freiheiten bzw. Mittel, wie z.B. Lautstärke, -Phrasierung oder das Tempo, um die extrem hohe Komplexität jeder guten Komposition möglichst erlebbar zu machen- bzw. sie unkenntlich zu machen.

"Wenn jemand aus dem Tonsatz einer Komposition nicht das adäquate Tempo und die entsprechende Gestaltung erkennen könne, solle er es lieber gleich bleiben lassen" - so radikal bereits Johann Sebastian Bach laut einer Überlieferung. Auch nach der Uraufführung von Beethovens ‘Schicksalssymphonie’ schreibt der damals bekannte Komponist Louis Spohr, der in der ersten Violine teilgenommen hatte, dass ER zwar Beethovens 5. gespielt habe, aber nicht wüsste, was die anderen gespielt hätten! Und lange Zeit nach Bach und nach Beethoven schließlich musste auch Gustav Mahler - der ja bekannt für die vielen Anweisungsdetails in seinen Partituren ist - seinen Orchestermusikern bei einem Missverständnis während der Probe zurufen: “Alles steht in der Partitur, nur das Wesentliche nicht!”.

Solch eine hohe Kunst scheint das Aufführen einer Komposition zu sein - trotz aller Anweisungen...

Es ist also offenbar “der Geist“ hinter den Noten, der in Klang umgesetzt werden muss- nicht nur der Notentext selber; ähnlich, wie ein Text aus der Bibel auch oft zu wörtlich verstanden bzw. umgesetzt werden kann... Das Dilemma der heutigen Interpretation klassischer Musik erscheint mir noch immer als dasselbe: Die Noten werden zwar brilliant unter treuester Befolgung aller Anweisungen, und in geradezu charmant-attraktiver Klanggestalt, wiedergegeben - werden aber trotzdem noch immer relativ unreflektiert und deswegen zu mechanisch heruntergespielt.

Eigentlich aber sollte der Klang die Tausende von Bezügen zwischen den Noten interpretieren = übersetzen!

Diese “Übersetzung” zu versuchen - so schwierig das zu sein scheint - ist meine Intention.